• Offizieller Beitrag

    Liebe Harmoniumfreunde,

    angefangen hatte alles damit, dass mein Vater vor vielen Jahren in einer schönen alten Klinik in St. Blasien im Schwarzwald einige Tage verbringen musste. Ich suchte die Krankenhauskapelle auf und entdeckte dort eine schöne zweimanualige Orgel ohne Pfeifen - also eine Sakralorgel - so dachte ich zunächst. Allerdings konnte ich keinen Einschalter finden. Auch hatte sie gar keine Pedalklaviatur, sondern nur zwei mir bis dahin seltsam anmutende Bretter im Fußbereich.

    Da ich alleine im Raum war, konnte ich mir nicht verkneifen einen Versuch zu wagen (der Herr und die Krankenhausdirektion mögen mir verzeihen) mal auf diese Bretter zu treten. So langsam dämmerte mir, was das sein musste. Meine Großtante hatte in meiner Kindheit so ein Instrument und ich konnte sie als kleiner Junge einmal darauf spielen hören. Das Ding hier musste also ein Harmonium sein!

    Ich zog also das eine oder andere Register und paddelte mit den Füßen auf diesen Pedalen nach Luft. Mit meinen leidlichen Keyboard-Kenntnissen spielte ich einige mir im Kopf gebliebene Melodien, nebst Akkordbegleitungen.

    [H2]Und ich war hin und weg[/H2]
    vom warmen Klang dieses Instrumentes.

    Wieder zuhause angekommen durchsuchte ich das Internet nach Informatioen über diese urzeitlichen Relikte der Orgelbaukunst. Und siehe da, Ebay war voll davon. Für einen Apfel und ein Ei. Jeder wollte endlich Platz schaffen und dieses vererbte Gerümpel loswerden.

    So ersteigerte ich das erste Objekt meiner neuen Begierde für sage und schreibe 30,- Euro im näheren Umkreis und holte es mit einem Kleinbus ab. Pooh - doch ganz schön schwer so ein Ding. Es stellte sich heraus, dass innen längst nicht alles so toll war, wie es von außen den Anschein machte. So machte ich auch gleich meine ersten Erfahrungen als frisch gebackener Hobbyorgelbauer.

    Es handelte sich um ein Saugwind Harmonium des Herstellers "Ritz & Kaim" mit nur relativ wenigen Registern.

    Doch nach und nach entdeckte ich weitere interessante Instrumente, die jedes für sich Besonderheiten hatten. Entweder noch mehr und schönere Register oder noch schöner verzierte Gehäuse. So kamen also noch weitere Harmoniums dazu :D

    • Offizieller Beitrag

    Ein weiteres Exemplar in meiner Sammlung ist dieses hier:

    Es trägt die Bezeichnung "Weiss Spaichingen". Ich schätze das ist aber nicht der Hersteller, sondern vermutlich der ehemalige Händler in einem Ort hier im Umkreis. Es ist übrigens auch ein Saugwind-Harmonium.

    Die 17 Registerzüge sind wie folgt beschriftet, von links nach rechts:

    Bass-Seite:
    Basskoppel
    Bourdon 16'
    Viola 4'
    Viola dolce 4'
    Fagott 8'
    Diapason 8'
    Bourdon 8'
    Forte

    Vox Humana

    Diskant-Seite:
    Forte
    Hohlflöte 8'
    Melodia 8'
    Oboe 8'
    Vox Jubilante 8'
    Flöte 4'
    Klarinette 16'
    Diskant-Koppel

    weiterhin die typischen Kniehebel mit Forte- und Creszendo-Schweller

    Es hat somit eine durchgehende 16' Zungenreihe, 2 x 8' und 1 x 4'. Damit sollte es als 4-spielig zu bezeichnen sein. Oder vielleicht doch eher 4 1/2 -spielig, da die Vox Jubilante 8' noch eine entsprechend auf Schwebung gestimmte halbe Zungenreihe enthält.
    Der Klang ist sehr kräftig, klar und tragfähig und wäre damit durchaus gut für eine Kapelle oder kleine Kirche geeignet.

    • Offizieller Beitrag

    Und wieder ein Saugwind-Harmonium. Diesmal von der Firma Lindholm.
    Es befindet sich im guten Zustand und hat sehr reichhaltige Klänge auf 20 Registerzügen.

    Bassseite:

    Bass-Forte
    Subbass 16'
    Cornettino 2'
    Aeolsharfe 2'
    Viola dolce 4'
    Viola 4'
    Bourdon 16'
    Diapason 8'
    Diapason dolce 8'

    Vox Humana

    Diskant-Seite:

    Melodia dolce 8'
    Melodia 8'
    Clarinette 16'
    Vox Jubilans 16'
    Flöte 4'
    Oktav-Koppel
    Oboe 8'
    Vox Coelestis 8'
    Schalmey 8'
    Diskant-Forte

    Kniehebel für Forte- und Creszendo-Schweller

  • Hallo,

    Danke für den Bericht über dieses kleine Museum ;) . Finde ich sehr interessant. Ist etwas zum Alter der Instrumente bekannt? Wegen der Hersteller kann ich gerne einmal im Ahrens & Klinke nachsehen, falls Du das Buch nicht eh hast.

    Beste Grüße
    Christoph P.

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Christoph,

    das eine oder andere steht noch im "Museum", was ich noch fotografieren muss :D
    Nein das Buch habe ich nicht, also für weitere Infos bin ich gern dankbar.

    Weitere Angaben kann ich dann nach und nach ja noch zu jeder Instrumenten-Kurzbeschreibung hier hinzufügen, dachte ich mir. Es gibt dann sicher auch noch ein paar Fotos von innen. Ich habe bisher auch noch nichts katalogisiert. Dachte, das wäre hier mal ein Anfang dazu..

    Gruß Michael

  • Hallo,

    noch mehr? Das wäre bei mir nicht so leicht möglich...

    Übrigens führt die Nutzung meines Harmoniums als GrandOrgue-Spieltisch zu interessanten Phänomen wie Hängern, die man durch wiederholtes Anschlagen der Taste lösen kann. So etwas kennt man an den perfekten DO gar nicht mehr, ist aber irgendwie doch wieder eine neue Form von Realismus... ;)

    Beste Grüße
    Christoph P.

  • Zitat

    Übrigens führt die Nutzung meines Harmoniums als GrandOrgue-Spieltisch zu interessanten Phänomen wie Hängern, die man durch wiederholtes Anschlagen der Taste lösen kann.


    Das hängen passiert in der Mechanik/MIDI Elektronik (dh. GO ist nicht schuld)?

  • Hallo,

    da das bisher nur am Harmonium aufgetreten ist, wird das nichts mit GrandOrgue zu tun haben. Ich muss mir mal genau sehen, wo die Kontakte angebaut sind.

    Beste Grüße
    Christoph P.

  • Hallo,

    ich habe mal im Ahrends & Klinke nachgesehen und zu dem Harmonium von Ritz & Kaim etwas gefunden: Die Firma Firma Ritz & Co (gegr. 1875) war spätestens ab 1886 Generalagent von Estey-Orgeln (USA). Bis 1908 hat die Firma anscheinend selbständig agiert. Kaim & Sohn geht auf Vorläuferfirmen ab 1819 (Hofpianofabrik) zurück, Harmoniums wurden ab 1900 produziert. 1908 trat Louis Ritz als Gesellschafter in die Firma ein. Ab 1910 scheint die Firma Harmoniums unter dem Label Ritz-Kaim produziert zu haben. 1919 schied Ritz aus und die Harmoniumsproduktion wurde eingestellt. Das Harmonium müsste daher zwischen 1910 und 1919 gebaut worden sein.

    Zu Weiss, Spaichingen, habe ich nichts gefunden, weder in der Liste der Hersteller, noch in der Liste der Händler, die eigentlich andere Produkte hergestellt und unter ihrem Label auch Harmoniums vertrieben haben. Es könnte also gut sein, dass das einfach ein Musikalienhändler gewesen ist. Ich würde aber vermuten, dass sich innen auf den Bauteilen irgendwelche Hinweise auf den Hersteller finden, aber sicher hast Du schon nachgesehen.

    Zu Schiedmeyer und Lindholm muss man ja jetzt nicht viel sagen. Das Notenbrett des Schiedmeyers ist vom Stil her Jugendstil, der grundsätzlich vor dem 1. Weltkrieg in Mode kam. Das Lindholm würde ich eher der neuen Sachlichkeit zuordnen, also 1925-1930, es müsste von daher ein paar Jahre später poduziert worden sein als meines. Allerdings ist die Disposition noch (spät-)romantisch, d.h. das Instrument ist noch nicht als Orgel-Ersatz gedacht.

    Friedrich Bongard betrieb von 1916 bis 1936 einen Kleinhandel mit Pianos und Harmoniums. Er war gleichzeitig Mitinhaber der Firma Bongard & Herfurt (Sachsen-Anhalt), die ab 1920 Harmoniums poduzierten, die Bongard vertrieb. Genauer als auf den Zeitraum 1920-1936 könnte ich das wegen des nüchternen Stils nicht einschränken.

    Beste Grüße von der Waterkant
    Christoph P.

    • Offizieller Beitrag
    Zitat

    Original geschrieben von C18H27NO3

    Hi Mike, schöne Sammlung, die ich ja auch schon testen durfte :K

    Stimmt, aber ich glaube Du hattest noch nicht ganz alle gesehen. Im oberen Stock steht noch eins mit Schnitzereien, und ein Tragbares a la "Keyboard mit Luftbetrieb". Da muss ich aber auch erst mal noch Fotos davon machen.

    [hr]

    Zitat

    Original geschrieben von chp

    ich habe mal im Ahrends & Klinke nachgesehen und zu dem Harmonium von Ritz & Kaim etwas gefunden:..

    Vielen Dank für die interessanten Informationen zu meinen Instrumenten. Ich werde mal alle Infos sammeln. Die Harmoniums hatte ich ja auch alle vor längerer Zeit schon mal offen und teilweise bis ganz zerlegt, gereinigt, wieder instand gesetzt usw. Leider hatte ich da überwiegend keine Fotos davon gemacht und mir etwaige Beschriftungen notiert. Ich hole das bestimmt gelegentlich mal nach.
    Das Restaurieren war mitunter ganz schön Arbeit. Wirklich gut funktionierende Instrumente findet man leider sehr selten direkt zum Kauf.

    Das Ritz & Kaim Harmonium befindet sich nicht mehr bei mir im Haus. Ich hatte es vor einiger Zeit einer kleinen Gemeinde im Schwarzwald überlassen, da deren Harmonium kurz vor dem Pfingstfest den (heiligen?) Geist aufgegeben hatte. Es steht dort jetzt wunderschön in einer Kapelle auf einem Berg und ab und zu, wenn ich über den Schwarzwald nach Freiburg fahre, schaue ich dort rein und spiele mal wieder darauf. Deren Harmonium habe ich inzwischen auch wieder restauriert und es stehen nun beide Instrumente dort - für den Fall der Fälle.
    Schön, dass es auch noch Gemeinden gibt, die so etwas schätzen.

    Zitat

    Das Notenbrett des Schiedmeyers ist vom Stil her Jugendstil, der grundsätzlich vor dem 1. Weltkrieg in Mode kam.

    Es hat als Druckwind-Harmonium eine deutlich andere Klangcharakteristik als die Saugwind-Harmonien.
    Leider habe ich festgestellt, dass ihm der Standort in meiner "Gartenkapelle" nicht ganz so gut bekommen hat. Die Windlade ist wieder undicht geworden und müsste wohl mal ordentlich saniert werden. Und der Kleber der Registerschildchen scheint auch am Ende zu sein. Eines nach dem anderen purzelt jetzt...

    Mein Traum wäre mal noch ein schönes französisches Kunstharmonium (Druckwind) von z. B. Mustel oder Debain. Aber diese Instrumente sind natürlich sehr gefragt und dementsprechend teuer (mitunter 5-stellig). Vielleicht fällt einem ja sowas mal zufällig günstig und reparaturbedürftig vor die Füße bei einer "Haushaltsentrümpelung" :D

    Gruß Michael

  • Ja, da muss ich euch Recht geben. Ein Harmonium hat schon seinen ganz besonderen Charme und Reiz.
    Bei mir steht zuhause auch ein 5 1/2spieliges Druckwindharmonium von Richard, Paris, 1898.
    Immer wieder spiel ich sehr gerne darauf und bewundere den großen Dynamikumfang, den dieses kleine Instrument erzeugen mag.
    Und wenn man sich ein wenig mit dem Harmonium befasst, dann ist man schnell darüber erstaunt wieviel Werke es für Harmonium, selbst von den großen Orgelkomponisten gibt.

    Grüßle,
    Bertram