Jeder neue Versuch ist willkommen und hochinteressant - und sollte nach meinem Wunsch hier im Forum auch von den tatsächlich damit Tag und Nacht Befassten, gerne erläutert werden.
Da hier ja explizit Samplesethersteller angesprochen werden, versuche ich einfach mal, meine Erkenntnisse etwas zusammenzufassen. Dabei versuche ich, aus meinem Blickwinkel besondere Vorteile aber auch Schwierigkeiten beider Ansätze aufzuzeigen, wobei ich in Bezug auf den IR Approach nur aus dem theoretischen Blickwinkel schreiben kann, hier wäre sicherlich auch der Blickwinkel von Gernot Wurst sehr willkommen.
Fangen wir mit dem „wet“ Approach an, mit dem ich mich ja doch recht gut auskenne.
Plus:
- Der Raumhall ist für jede einzelne Pfeife vollkommen natürlich
- Die Aufnahme erfolgt mit vertretbarem Aufwand im Raum, es ist kein Betreten der Orgelgehäuse erforderlich
- Die Aufnahmen erfolgen komplett von einer Mikrofonposition und mit einer Einstellung pro Kanalpaar, dadurch stimmen die Lautstärkeverhältnisse der Werke und Register im Raum ohne weiteren großen Voicingbedarf.
Minus:
- Theoretisch bräuchte man eine unendliche Zahl von Releasesamples, was natürlich praktisch nicht umsetzbar ist. In der Praxis reichen hier 3 Releases für die allermeisten Pfeifen, für sehr langsam sprechende Pfeifen (vor allem streichende Register und Principale in den unteren Oktaven) macht es Sinn, ein viertes Release hinzuzunehmen. (Auch durchschlagende Zungen wie die Clarinette sind gerne in den unteren Oktaven sehr langsam, extremes Beispiel Kaiserdom Königslutter).
- Hoher Aufwand, die benötigten Releasesamples aufzunehmen und zu bearbeiten verbunden mit hohem Speicherbedarf (vor allem bei sehr halligen Räumen).
- Schwierigkeit, die Releasesamples präzise einzuspielen. Dem kann man allerdings abhelfen, bei meinen neueren Sets kommt ein selbst entwickelter Tastendrückroboter zum Einsatz. Damit lässt sich der Tastendruck ms-genau steuern. Als weiterer Vorteil entfällt das Problem, dass man beim Samplen mitten in der Nacht kurz einnickt und nach dem Aufwachen nicht mehr weiß, welchen Ton man zuletzt gespielt hatte. Außerdem wird dann auch gleich ein MIDI-File synchron mitgeschrieben, in dem die exakten Zeitpunkte der Tastendrücke markiert sind. Das erleichtert das spätere Bearbeiten enorm.
IR-Approach (wie gesagt, meine persönliche Sicht auf die Dinge, mehr nicht!):
Plus:
- Keine separaten Releasesamples erforderlich
Minus:
- Theoretisch müsste man ein separates IR für jede Pfeife verwenden, Annäherung hier durch eine mindestens große Zahl an IR erforderlich
- Umsetzung in Hauptwerk bislang nur rudimentär, dies ist ja der Grund dafür, dass Prospectum beim Maihingen Set auf die Notlösung mit einem künstlich erzeugten Wet-Set zurückgreifen musste. Hier ist noch deutlich Entwicklungsarbeit in der Hauptwerk-Software notwendig. Das ist aber kein grundsätzliches Problem des IR-Ansatzes.
- Pfeifen müssen sehr direkt aufgenommen werden, idealerweise vollständig ohne Raumanteil. Klingt zunächst einfach, ich sehe da aber ein paar grundsätzliche Schwierigkeiten. Zum einen haben Pfeifen ganz unterschiedliche Abstrahlcharakteristiken, manche strahlen eher in eine Richtung (z.B. Trompeten), andere vielleicht etwas mehr rundum. Das müsste ja dann der IR berücksichtigen. Und sehr große Pfeifen, z.B. ein 16‘ Principal, ist sicher kein Punktstrahler mehr. Gerade bei solchen Pfeifen gibt es eigentlich 2 Abstrahlpunkte, das Labium und die obere Pfeifenöffnung, die sich sehr unterschiedlich verhalten und erst im Raum gemischt den richtigen Pfeifenklang ergeben. Würde mich in der Tat sehr interessieren, wie das bei Prospectum gelöst wird.
- Die direkte Aufnahme ist gerade bei großen Orgeln sehr viel schwieriger zu lösen, man muss ins Orgelgehäuse hinein und das Mikrofon eigentlich für jede Pfeife neu aufstellen.
- Da die Aufnahmen der Pfeifen von verschiedenen Positionen erfolgen, bleiben die natürlichen Lautstärkeverhältnisse bei der Aufnahme nicht erhalten, ein deutlich größerer Voicing-Aufwand ist erforderlich.
Zum Thema Denoising muss ich sagen, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass man das beim IR-Ansatz grundsätzlich wegfallen lassen könnte. Bei der Baumeister-Orgel ist es in der Tat so, dass die Windgeräusche erfreulicherweise extrem leise sind, sie sind im Raum nahezu unhörbar. Bei dieser Orgel kann ich mir schon vorstellen, dass bei einer sehr nahen Aufnahme ein Denosing tatsächlich nicht ntowendig ist. Bei anderen, vor allem bei großen Orgeln, sind die Windgeräusche aber oft so stark, dass man da sicher auch bei sehr nahen Aufnahmen ein Denoising benötigt, da ja die Lärmquelle üblicherweise NICHT der Gebläsemotor selbst ist, sondern die vielen vielen kleinen Leckagen, durch die permanent Wind ausströmt. Dieses Windgeräusch wird tatsächlich um so lauter, je näher ich an die Orgel herangehe.
Zum Thema Perpektiven: Dies ist ein generelles Problem und vollkommen unabhängig vom Wet- oder IR-Ansatz. Hier sind einfach die Geschmäcker der Kunden sehr verschieden. In der Tat gibt es mehr Kunden, die den Klang im Raum wollen, es gibt aber auch die, die am liebsten das Gefühl haben, direkt am Spieltisch zu sitzen, was natürlich je nach Orgel auch problematisch sein kann. Es ist nicht wirklich angenehm, wenn einem der 1‘ vom Brustwerk in Riddagshausen um die Ohren bläst. Ich habe mich da beim Aufnehmen versucht wegzuducken, damit ich keine Ohrenschmerzen bekomme. Im Raum klingt es aber dann wieder ganz anders und durchaus angenehm.
Das Mischen von Perspektiven macht aber in Hauptwerk auch wieder Probleme, unter anderem auch dadurch, dass Hauptwerk nur mit Stereosamples umgehen kann und die Zuordnung von Pfeifen zwischen vorne und hinten nicht möglich ist. Ein Effekt, der gerade beim Mischen zu Problemen führt, ist das Hauptwerk Samples mit einer minimalen zufälligen Verzögerung (wenige ms) abspielt. Hier hat leider weder der Nutzer noch der Samplesethersteller irgendeinen Einfluss drauf. Diese Verzögerung führt dazu, dass bei hohen Frequenzen vordere und hintere Samples mal in Phase und mal gegenphasig sind, und dass bei jedem Tastendruck anders. Für tiefe Frequenzen entfällt der Effekt. Die Wirkung daraus ist, dass Pfeifen bei wiederholten Anschlägen ihr Timbre ändern, wenn mehrere Perspektiven mit annähernd gleichem Level eingestellt sind, und dass der Klang insgesamt dunkler wird, wenn man die Perspektiven auf annähernd gleiches Level stellt. Das sollte man also versuchen zu vermeiden.
Nun ist das ein sehr langer Post geworden, hatte ich gar nicht so beabsichtigt.