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Johannus hat eine neue Sampling-Orgel entwickelt, die nach eigenen, vollblumigen Werbeäußerungen angeblich eine neue Ära in der Orgelwelt anbrechen lässt:
http://www.johannus.com/de/kollektion/hausorgeln/live
Mein Kommentar hierzu im Sakralorgelforum:
Da ist es Johannus nach vielen Jahren mal wieder gelungen eine Orgel zu bauen die wenigstens in Aufnahmen halbwegs nach Pfeifenorgel klingt. Ein Schritt in die richtige Richtung, allerdings meines Erachtens noch sehr unausgegoren.
Folgende Ungereimtheiten fallen mir auf, die für eine virtuelle Pfeifenorgel, was sie wohl sein soll, ungünstig oder zumindest nicht optimal sind:
1. Abstrahlung der Lautsprecher über Kopf "geht am Ohr vorbei" und macht keinen Sinn für eine Nahfeldbeschallung mit der man Klänge möglichst original reproduzieren will.
2. Die zusätzlichen Lautsprecher nach oben und zur Seite sind absolut paradox, wenn man doch eigentlich den Effekt des Nahfeldhörens nutzen will. Nahfeldhören heißt, den Abstand vom Lautsprecher zum Ohr bewusst viel kleiner zu machen als den Abstand vom Lautsprecher zu den Wänden. Damit nimmt man den Schall möglichst direkt mit dem Ohr wahr, schon fast wie mit einem Kopfhörer. Das macht man eben gerade um die schädlichen Einflüsse des Abhörraums (Reflexionen) möglichst gering zu halten.
Hier geht man hin und wirft noch aktiv Schall gegen Wände und Decken. Damit macht man die Vorzüge des Nahfeldhörens wieder zunichte.
3. Wenn man schon kein optimales Nahfeldhören bekommt, bekommt man offenbar laut den Berichten hier, zusätzlich auch keine vernünftige Raumbeschallung mit dem System hin.
4. Die Lautsprecher sind alle nicht zum Orgelgehäuse hin akustisch entkoppelt. Das bringt unweigerlich Resonanzen des gesamten Orgelkastens ins Spiel. Ein Übel seit Anbeginn der Sakralorgelzeit. Nur gerade besonders unpassend, wenn man eigentlich Samples originalgetreu wiederzugeben damit vor hätte. Optimal wären möglichst massive Lautsprechergehäuse (Beton wäre gut zwinker ) und die in Schwinggummi gelagert und damit vom Orgelgehäuse entkoppelt.
5. Es werden de facto nur sehr kleine Samples verwendet. Ladezeiten von 5 Sekunden bei 50 Registern sind nur deshalb möglich. Ein ordentliches Set für HW oder GO mit 50 Registern, Pfeife für Pfeife aufgenommen und mit enthaltenen echten Hallsamples benötigt heute meist schon über 16 GB Speicherplatz. Und da dauert das Laden selbst von den schnellsten erhältlichen SSDs schon deutlich länger (z. B. ca. mind. 30 s bis 2 min.). Man kann also davon ausgehen, dass an den Samples im Vergleich zum derzeit machbaren (HW/GO) deutlich gespart wurde. Es ist in der Werbung z. B. keine Rede davon, dass wirklich jede einzelne Pfeife als eigenes Sample vorliegt. Möglicherweise gibt es nur ein Sample pro Oktave. Oder/und es gibt keine Multi-Loops und Multi-Releases und keine gesampleten Tremulantenklänge.
6. Aller Voraussicht nach (siehe 5.) enthalten die Samples nicht direkt den Originalhall. Es dürfte sich also um "trockene" Samples handeln die nachträglich künstlich verhallt werden, oder bestenfalls mit Faltungshall der im Kirchenraum aufgenommen wurde. Das muss aber nicht zwangsläufig ein Nachteil sein. Allerdings ist da HW/GO dann flexibler, weil da beide Varianten möglich sind.
7. Manubrien, die nicht per Setzer aus- und einfahren, sind wie hier auch schon bemerkt, wenig sinnvoll.
8. Das Konzept ist leider nicht modular aufgebaut, sodass wie bisher, bei technischen Verbesserungen wieder eine neue Orgel gekauft werden muss.
9. Samplesets die per Kopierschutz genau an die persönliche Orgel gebunden sind, ist noch mal eine Steigerung der Nutzungseinschränkungen des von Hauptwerk schon bekannten Kopierschutzes. Im schlimmsten Fall bedeutet das, wenn man das Nachfolgemodell der Orgel kauft (siehe 8.) sind möglicherweise tausende von Euros die man in zusätzliche Samplesets inverstiert hat wertlos geworden. Das ist wenig zukunftssicher und käme für mich auf keinen Fall in Frage. Auch gesetzt den Fall jemand kauft sich die gleiche Orgel nochmal für seinen Zweitwohnsitz, dann muss er auch die Samplesets alle zweimal kaufen, obwohl er sie nur alleine nutzt. Traurig
10. zwar habe ich die Orgel selbst noch nicht live gehört, aber zumindest die bisher verfügbaren Aufnahmen enttäuschen mich im Vergleich zu Aufnahmen von Hauptwerk oder GrandOrgue. Das deckt sich auch in etwa mit den Abwägungen die ich unter 5. zu den Samples getroffen habe.
11. Der Blick auf die Fotos vom offenen Gehäuse ist für mich eher enttäuschend. Zu sehen sind reichlich Spanplatten, Hartfaserplatten und Gedöns. Alles was der Orgelbau nicht braucht. Da ist in Relation der Preis für das Gebotene schon happig. Dafür bekommt man auch einen schönen massiven Midispieltisch in beinahe Orgelbauerqualität. Dazu ein mittlerer PC und kostenlos GrandOrgue mit ein paar Gratis-Samplesets - und man fährt wahrscheinlich besser und zukunftssicherer.
12. Laut Fotos handelt es sich bei den Klaviaturen offenbar um Fatar-Klaviaturen. Ich habe die selben, nur mit Ebenholz und Kirschbaum belegt. Diese sind zwar nicht ganz schlecht, aber doch noch sehr weit von Orgelbauerklaviaturen entfernt.
13. Einzeldisplays zur Registerbeschriftung gibt es schon länger und ist auch mit HW gut möglich. Das war eben bisher nur eine Preisfrage. Jedoch sind 50 Register als Maximum für eine virtuelle Orgel eine kaum akzeptable Einschränkung.
Nun ja - möge sich jeder selbst sein Urteil bilden.
Für mich wäre es nichts.
Gruß Michael