Literaturtipp: Choralbuch für den schulischen und häuslichen gebrauch - Alfred Dörffel

  • Heute möchte ich euch das Choralbuch von Alfred Dörffel einmal vorstellen.

    Alfred Dörffel:

    Der Sohn des Fürstlich Schönburgischen Kammerrats August Friedrich Dörffel (1788–1847) und seiner Ehefrau Christiane Charlotte geb. Kröhne erhielt seinen ersten Musikunterricht beim Waldenburger Organisten Johann Adolf Trube. Später nahm er in Leipzig Musikunterricht bei Gottfried Wilhelm Fink, Felix Mendelssohn Bartholdy und Robert Schumann.

    Dörffel war Redakteur bei den Musikverlagen Breitkopf & Härtel und C. F. Peters. Er gab einen Führer durch die musikalische Welt heraus, übersetzte die Instrumentationslehre von Hector Berlioz und bearbeitete mehrere Bände der Gesamtausgabe der Bach-Gesellschaft Leipzig. Er war ein anerkannter Musikkritiker und schrieb für die Neue Zeitschrift für Musik und das Musikalische Wochenblatt. Dörffel gründete eine Bibliothek für musikalische Literatur (u. a. Partituren und musikwissenschaftliche Literatur), die er zunächst privat anlegte, aber der Öffentlichkeit auch gegen eine Leihgebühr zugänglich machte. Die Sammlung bildete den Grundstock für die 1894 eröffnete Musikbibliothek Peters in Leipzig. Er arbeitete auch als Kustos der Musikalienabteilung der Stadtbibliothek Leipzig. Seit 1842 war Dörffel Mitglied der Leipziger Freimaurerloge Balduin zur Linde und komponierte für die Loge zahlreiche Musikstücke, zumeist zu Texten von Gotthard Oswald Marbach.

    Das Choralbuch

    Dieses Buch dient primär der häuslichen Musik und zu Lernzwecken. Praktisch einsetzen lassen sich die Stücke liturgisch heute nicht mehr, da die Melodien in anderen Tonarten stehen und oft auch in heute nicht mehr gängigen Formen. Trotzdem klingen die Stücke sehr gut und eignen sich auch wunderbar mal für zwischendurch, Zuhause am Klavier, dem Harmonium oder auch beim freien Spielen in der Kirche. Für lernzwecke ist es auch meiner Meinung nach noch immer gut geeignet, da die Stücke bekannt sind und doch leicht spielbar. Auch die harmonisierungen kann man sehr gut verfolgen und übernehmen.

    Gedruckte Fassungen bekommt man abseits von Antiquitäten (im dreistelligen Euro Bereich) nicht mehr.

    Link: https://imslp.org/wiki/Special:ReverseLookup/106301

    Melodeum.de - Wissenswertes zu Harmonium

    • Offizieller Beitrag

    Interessant, wie sehr unterschiedlich alle Choräle gegenüber den heute gewohnten sind. Dabei sind die anderen Tonarten nur ein Aspekt.

    Eine völlig andere Rhythmik, bestehend fast ausnahmslos aus halben Noten mit nur ein paar wenigen viertel Durchgangsnoten. Dadurch klingt alles ziemlich ruhig und getragen. im Gegensatz dazu klingen die heutigen rhythmischen Formen mit Achteln, vielen Punktierungen und Triolen schon beinahe "hektisch".

    Ebenso unterscheiden sich die Melodieverläufe an sehr vielen Stellen gegenüber heutigen Noten. Trotzdem sind die Choräle dem Namen nach - trotz aller Unterschiede -gut wiederzuerkennen.

    Weißt Du, ob dies alles so zur damaligen Zeit allgemein üblich war, oder ob das sehr Dörffel spezifisch ist? Was sagen denn die alten Kirchengesangbücher darüber aus?

  • Weißt Du, ob dies alles so zur damaligen Zeit allgemein üblich war, oder ob das sehr Dörffel spezifisch ist? Was sagen denn die alten Kirchengesangbücher darüber aus?

    Ich habe zu dem Thema sehr viel geforscht weil es mich selbst interessiert hat, da ich der Meinung bin, dass heute viel zu schnell und viel zu komplex gespielt wird. Diesen einfachen Aufbau der Stücke steht so auch noch im Gesangsbuch der Provinz Sachsen aus dem Jahre 1919. Nachfolger sind dann schon komplexer und mit jeder Ausgabe scheint es virtuoser und poppiger zu werden. Die Spitze ist dann dieses neue evangelische Gesangsbuch (komme auf den Namen nicht) wo selbst Lieder wie Verleih uns Frieden oder Aus tiefer Not schrei ich zu dir als rhythmische Pop Stücke stehen.

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    Früher wurde definitiv sehr viel langsamer gesungen, eher meditativ. So dass Singen nicht etwas ist was man mal schnell abarbeitet, sondern beim singen auch die Zeit hat über jedes Wort nachzudenken, reinzuhören was will der Verfasser damit sagen, wie kann ich das verstehen, wie betrifft es mich.

    Es gibt leider keine Tonaufnahmen von 1600-1800, aber damals war es gängige Praxis dass der Orgelspieler auf einem Fermate die Zeit hatte eine Improvisation zu spielen, ohne den Notenwert zu verändern. Franz Vitzthum, ein Countertenor aus dem Süddeutschen Raum. Er lehrt an der Hochschule Regensburg und an Dr. Hochs Konservatorium Frankfurt hatte mir einige Notizen dazu übermittelt die dies aufgezeichnet haben. Wenn ich auf einer viertel Note mit einem Fermate Zeit habe eine ganze Improvisation zu machen, dann kann man sich vorstellen wie lange dieser Notenwert gewesen sein muss. Auch gut möglich dass die Organisten diese Stellen wir absolutes Virtuoses und schnelles Spiel genutzt haben. Aber das kann man nicht mehr nachvollziehen und nur vermuten. Improvisation auf einem Fermate ist heute in einigen Musikarten und vor allem bei Sänger noch immer üblich.

    Nehmen wir mal ein Beispiel: Das Lied EG 517 ich wollt, dass ich daheime wär ist ein schönes Stück wo viele Dinge zu sehen sind. Zum einen ist es das kürzeste Lied (mutmaßlich), wo man heute die 12 Strophe in etwa einer Minute abgearbeitet hat. Stellen wir dem mal eine Kantate gegenüber, dann wird dort an einer oder zwei Strophe rund vier Minuten gesungen. Ich vermute einmal dass diese Art damals auch im Gottesdienst praktiziert wurde.

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    Zu dem Lied gibt es auch noch einen wenig bekannten Artikel, wo über eine mögliche andere Form der Gestalt analysiert wird. Der Author hat seine Zweifel daran ob die Originalgestalt der Melodie wirklich so wie heute gedacht war und belegt seine Thesen mit Aufzeichnungen aus der damaligen Zeit und so weiter. Ein sehr spannender Artikel der auch ganz schön zeigt wie Melodien verändert und angepasst werden (müssen). https://www.jstor.org/stable/24239794 Wer den Artikel lesen möchte muss sich als Privatnutzer anmelden (kostenlos) und kann es dann Online lesen. Der Aufwand lohnt sich aber.

    Allgemein gibt es zu vielen Lieder unterschiedliche Melodien. Aus tiefer Not schrei ich zu dir ist ein Beispiel wo heute im EG noch die erste und zweite Melodie stehen. Irgendwann wird sich eine wohl verabschieden müssen. Bei Befiehl du deine Wege gibt es dutzende Melodien, da ich viele sehr alte Notenbücher besitze. Mal verwendet es eine Aabwandlung von Valet will ich dir geben, mal eine Abwandlung von Aus tiefer Not schrei ich zu dir, manchmal sind aber nur einzelne Noten verschieden wo ein Halbton in eine andere Richtung geht. Wer nur den lieben Gott lässt walten ist auch ein Stück wo man hunderte Fassungen findet, welche sich alle in Details unterscheiden. Besonders schön finde ich eine Fassung in Fis-moll, wo die Modulation so richtig klasse anzuhören ist. Zugegeben möchte man es aber nicht spielen :)

    Abschließend bleibt die Erkenntnis, dass wir in einer Leistungsgesellschaft leben und schnell alles erledigen wollen. Schnell arbeiten, schnell in die Kirche gehen, schnell selig werden. Nur beim Sterben haben es dann doch ale nicht mehr so eilig :) Aber am Ende des Tages will man in einem Gottesdienst auch in weniger Zeit immer mehr schaffen. 45 Minuten und man muss seine 5 Lieder gesungen haben, sein Evangelium gehört haben, der Pfarrer will noch in seiner Predigt etwas sagen, Vater unser, und so weiter bis zur Abkündigung. Früher war der Gottesdienst am Sonntag einige Stunden :)

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  • Ein kurzer Nachtrag:

    Langsames Musizieren konnte damals auch durchaus einen weiteren Grund haben. Früher konnte man nicht einfach mal so sich an eine Orgel setzen um zu üben. Es waren grundsätzlich Helfer notwendig für den Wind. Somit war das Üben damals vermutlich schwieriger, teurer und vor allem nicht so intensiv wie Heute möglich für einen normalen Orgelspieler.

    Daher kann auch ein Grund gewesen sein, dass ein Spieler mit weniger Praxis so langsam spielen konnte, dass quasi genug Zeit blieb im Zweifel die nächsten Noten bereits zu verstehen und zu planen.

    Das ist natürlich nur eine Spekulation von mir, vermutlich wird es bei einigen Konstellationen eine Rolle spielen, aber nicht der Hauptgrund sein.

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  • Allerdings gibt es auch Gemeindelieder mit

    herrlichen, begeisternden Doppel-Rhythmus-Strukturen, die schon vor Jahrhunderten erfunden wurden....

    (Demnächst poste ich mal eines....)

    Grundsätzlich stimme ich dir teilweise zu.

    Der Stuttgarter Helmut Rilling hat mal im Mainzer Dom bei Europa Cantat die Johannespassion in einem solchen Affenzahn durchgepeitscht, dass mir beinahe schlecht wurde.

    Andere, wie z.B. Gardiner haben zwar bei freudigen Stücken hohe, virtuose Tempi, aber er bleibt manchmal an den spannungsreichsten, "tiefsten" (!) Stellen fast stehen, was auf mich herzzerreißend wirkt, und ich schon öfters in Tränen ausgebrochen bin.

    (Bspw. Kantaten mit der für mich unvergleichlichen Magdalena Kozena, der - späteren- Frau des genialen Dirigenten Simon Rattle)

  • Allerdings gibt es auch Gemeindelieder mit

    herrlichen, begeisternden Doppel-Rhythmus-Strukturen, die schon vor Jahrhunderten erfunden wurden....

    Natürlich, es wurde schon immer in ganz unterschiedlichen Tempi gespielt und die Geschwindigkeit ist ja auch ein Ausdrucksmittel. Fröhlich, feierlich und ähnliches macht sich bei einem langsamen Tempo nicht sonderlich gut. Selbst das feierlichste Stück würde sich Adagio gespielt eher schwer und gedrückt anhören. Umgekehrt natürlich das selbe. Ich bin immer wieder schockiert wenn Stücke wie o Haupt voll Blut und Wunden wie eine feierliche Ballade gespielt werden, obwohl das thematisch und liturgisch absolut unpassend ist.

    Schnell und virtuos spielen sollte man immer dann wenn es das Stück erfordert und nicht einfach nur weil man es eben kann. Oft ist bei einem Stück weniger mehr, genau so kann aber weniger auch zu wenig sein bei einem anderem.

    Was ich primär kritisiere ist also nicht dass schnell gespielt wird, sondern dass unnötig schnell und überladen gespielt wird. Meist einfach nur aus dem Grund weil der Orgelspieler sich zur Schau stellen will und zeigt dass er es eben kann. Auch wenn es im Kontext unpassend ist...

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