Für wen ist unsere Kirchenmusik gedacht?

  • Wenn es so weiter geht, wird die christliche Glaubensart in den nächsten 100 Jahren verschwunden sein. Da hilft auch kaum noch ein Kirchentag, oder Grundsatzpapier, mit Festlegung, neuer Ziele und Strömungen.

    Die Gefahr, dass der christliche Glauben verschwindet sehe ich nicht. Ob die Landeskirchen dann aber noch existieren ist eine andere Frage. Ich selbst habe schon öfter einmal darüber nachgedacht, ob wir uns nicht gerade mitten in einer stillen Reformation befinden.

    Lasst mich das erklären. Früher waren viele unzufrieden mit der römisch katholischen Kirche und haben versucht etwas zu verändern. Da gab es bevor es Luther geschafft hat schon viele Vorgänger, die aber alle den Versuch nicht überlebt haben. Als Luther dann Mitte 1500 die Reformation gelungen ist, waren die Protestanten dann auf einem Stand den man Modern bezeichnen könnte. Jetzt ist aber seitdem nicht mehr viel passiert. Wir sind also schon lange wieder an einem Punkt wo alte starre Strukturen sehr stark gefestigt sind und zum Teil nicht mehr in die Zeit passen.

    Die Menschen verlieren ja nicht den christlichen Glauben, sie verlieren den Glauben an die Institution Kirche. Gründe gibt es viele. Weltansichten und Gesellschaftsansichten aus dem Mittelalter, ständige Missbrauchsvorwürfe wo eine Aufklärung mit allen Mitteln verhindert wird, starre Strukturen die keine Rücksicht auf die Gemeinde nehmen. Vor allem in den Landeskirchen geht es gefühlt mehr darum die Liturgie abzuarbeiten, anstatt für den Menschen da zu sein. Hier einmal ein Foto aus unserem Gesangbuch. Da ist auf fünf Seiten jeder Satz aufgeführt. Dieser Ablauf wird jeden Sonntag stur zelebriert, ohne Abweichung. Das einzige was sich ändert ist die Predigt. Aber die kann man eigentlich vernachlässigen. 40 Minuten liturgischer Ablauf, 10 Minuten Predigt.

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    Während die Landeskirchen immer mehr Mitglieder verlieren, gewinnen aber Freikirchen immer mehr Mitglieder. Meine persönliche Erfahrung ist, dass wir in unseren Gottesdiensten im Schnitt 5-15 Senioren sitzen haben, während in den Freikirchen die Leute teilweise an den Wänden und Gängen stehen, weil kein Platz mehr ist. Natürlich gibt es auch Freikirchen die den Namen Kirche eigentlich nicht verdient hätten, aber die Mehrzahl leitet gute Arbeit. Ich sehe es bei meiner Partnerin in der Freikirche. Dort beteiligt sich die Gemeinde selbst an der Gestaltung der Gottesdienst. Schreiben und führen Predigten zu Themen die heute für die Menschen wichtig sind. Es wird sich Zeit genommen. Während bei uns alles in 40-50 Minuten gepackt wird, dauert die Predigt dort oft schon mehr als eine Stunde. Während bei uns nach dem Postludium jeder seines Weges geht, wird dort noch Stunden gemeinsam gesprochen über die Themen die heute behandelt wurde.

    Wenn bei uns jemand auf die dumme Idee kommen sollte ein Thema im Gottesdienst ansprechen zu wollen, oder auch nur etwas beitragen möchte, dann wird er es sehr schwer haben. Ich wollte einmal im Rahmen eines Gottesdienstes ein Lied betrachten und der Gemeinde näherbringen. Also wer hat es geschrieben aus welchen Gründen. Was waren die Umstände, wie kann der Text verstanden werden und so weiter. Keine Chance gegen den Pfarrer. Zum einen interessiert es seiner Meinung nach keinen, zum anderen habe ich keinen entsprechenden Schein der mich dazu berechtigt etwas beizutragen. Naja, dann habe ich es so über eine eigene Veranstaltung am Tag des offenen Denkmals gemacht und 250 Leute haben sich dafür interessiert und wollen dies nun jedes Jahr mit einem Lied.


    Lange Rede kurze Unsinn. Die nächste Reformation läuft wahrscheinlich gerade.

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    • Offizieller Beitrag

    Meine Erfahrung mit Freikirchen geht eher in die Richtung, dass nicht jede Person gleichermaßen gern in der Gemeinde gesehen wird. Besonders gern gesehen sind junge Familien und allgemein junge Menschen im Berufsleben und mit gutem Einkommen. Einige ältere Leute noch, aber nur, wenn sie gut situiert sind und sich bereitwillig ehrenamtlich engagieren.

    Die Freikirchen benötigen finanzielle Mittel, die sie nicht aus gesetzlichen Kirchensteuern erhalten können. Die Finanzierung erfolgt ausschließlich auf Spendenbasis der Mitglieder. Deshalb wird in der Regel von jedem Mitglied der 10. Teil des Einkommens "gewünscht". Diesem "Wunsch" wird meist auch intensiv "Nachdruck" verliehen. Ist absehbar, dass von einem Interessenten wenig bis kein Beitrag kommen wird, ist er für die Freikirche nicht sonderlich interessant. So fallen vor allem Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben, in der Regel durchs "Beuteraster" der Freikirchen. Wer will sich mit Mitgliedern behängen, die arm und alt sind, wenig attraktiv bis ungepflegt aussehen, zu schwach sind um sich intensiv ins Gemeindeleben einzubringen und darüber hinaus noch nicht mal zur Finanzierung mit beitragen, sondern am Ende sogar noch Geld kosten?

    Es bildet sich in den Freikirchen also schnell eine gesellschaftliche "Blase" in der die Mitglieder recht gleichartig sind: jung, dynamisch, zahlungsfähig, sozialverträglich, gut motiviert, fest ins Gemeindeleben integrierbar, äußerlich hübsch anzusehen, gut gekleidet, freundlich, hilfsbereit, usw.

    Alle vereint durch ihren "Glauben" und ein oft tägliches "intensives Miteinander". Wer hier rein rutscht, der fühlt sich schnell wohl und geborgen und angenommen und genau so soll es sein. Man hilft sich vor allem gegenseitig und verbringt viel Zeit miteinander bei allen möglichen Aktivitäten. Jeder fühlt sich schnell rundum wohl und ist so auch bereit, seinen 10-ten Teil vom Einkommen beizusteuern.

    Die Gottesdienste sind so gestaltet, dass sich jeder wichtig vorkommt und alles sagen kann, was ihm gerade durch den Kopf geht. Mitunter dürfen auch Laien "predigen". Es wird fetzige Musik gemacht und jeder, der sich daran beteiligt und auf der Bühne steht, ist ein kleiner Star. Es wird frei gebetet und "Spiritualität" mit erhobenen Händen zelebriert. Anschließend wird oft gemeinsam gekocht und gegessen und wichtige Aktivitäten besprochen. Die Woche und damit die eigene Freizeit wird durchgeplant. Bibelstunden, Lobpreisabende und allerlei andere gemeinsame Aktivitäten.

    Kehrseiten der Medaille:
    - Wer sich bei so einer starken sozialen Einbindung und Kontrolle wohl fühlt, der ist gerne gesehen. Wem das zu viel wird, der wird "sanft" unter Druck gesetzt, damit er ja nicht ausschert. Es gibt kaum noch ein zurück.
    - Die Gemeinde kreist im wesentlichen um sich selbst, ohne es zu merken. Jeder fühlt sich in seiner tollen Blase wohl, aber alle anderen fallen unten durch.
    - Die "Prediger" sind oft schlecht bis gar nicht ausgebildet und legen gerne die Bibel nach Gutdünken aus, so wie es für die Gemeinschaft gerade nützlich ist.
    - Absolute Laien erzählen mir etwas von ihrem Glauben und wie ich in deren Augen leben soll.

    Wo bleiben da die christlichen Grundsätze einer Gleichbehandlung aller Menschen, unabhängig von ihrem Einkommen, Ansehen und Aussehen?

    Wo bleibt die persönliche Freiheit, meinen Glauben individuell auszuleben wo, wann, wie oft und wie intensiv ich möchte?

    Wo habe ich die relative Gewissheit, dass mir die Worte der Bibel fundiert ausgelegt werden und nicht ideologisch?

    Wo habe ich eine regelmäßige Liturgie, in der ich mich zuhause fühlen kann?

    Wo bin ich auch noch gern gesehen, wenn ich meine Arbeit verloren habe und verarmt bin, alt und schwach geworden bin?

    Wo habe ich eine hochkarätige, musikalisch wertvolle Kirchenmusik? Eine Kirchenmusik, die sich Gott zuwendet und nicht einem Musiker-Star?

    Dies finde ich persönlich alles in einer evangelischen Landeskirche oder in der katholischen Kirche.

  • Wo habe ich die relative Gewissheit, dass mir die Worte der Bibel fundiert ausgelegt werden und nicht ideologisch?

    Diese Gewissheit hat man eigentlich nur, wenn man sich mit dem Text selbst noch einmal befasst. Ich sehe im Gottesdienst die Predigten und Auslegungen grundsätzlich als eine fremde Idee, die Impulse geben kann aber nicht stimmen muss. In den Landeskirchen ist es ja genau so. Der Pfarrer Predigt und ist auch ein Mensch mit ganz eigenen Gedanken und Ansichten. Nun könnte man zwar sagen, dass dieser für ausgebildet ist. In der Praxis ist aber außer der Gemeinde keiner da, der sein Wirken regelmäßig prüft. Und egal wer, niemand ist wirklich immer hundertprozentig objektiv. Zumindest in den Freikirchen in denen ich mich bewege sind auch richtig ausgebildete Pfarrer da und Predigten von Laien werden im Vorfeld angeschaut und am Ende des Tages wird dort keiner predigen, der Quatsch erzählt.


    Die anderen Punkte von dir kann ich natürlich nicht beurteilen. Es mag Gemeinden geben wo es zutrifft, oder auch nicht. In den Landeskirchen hat der Pfarrer und GKR ja auch seine Lieblinge für die er mehr tut als für andere. Aber so was ist von außen immer schwer zu sehen. Ich war Mal mit jemanden in einem Gottesdienst von den Zeugen Jehovas. Auf den ersten Blick nette Menschen die natürlich wirken. Mit der Zeit und Aufmerksamkeit fällt da aber auf, dass etwas faul ist und um den Glauben herum Tragödien in den Familien sich täglich abspielen. Aber so was steht man natürlich nicht, wenn man nur Außenstehender ist.

    Naja, da Kirchen aller Art menschliche Institutionen sind gelten dort eben auch die menschlichen Dinge. Da sind eben alle gleich, nur einige sind gleicher. Vom Grundsatz braucht es ja keine Kirche. In der Bibel und den Kirchen wird ja immer von Gemeinschaft gesprochen, aber nach meinem Verständnis ist damit nicht die Gemeinde gemeint, sondern der Kontakt zu anderen die den gleichen Glaube haben. Vom Grundsatz bräuchte man ja nur eine Bibel. Natürlich wird von den Institutionen gesagt, dass man es alleine nicht versteht. Aber damit würde ja gleich die Aussage, dass Gott zu den Menschen durch die Bibel spricht absurd werden. Da muss man einmal drüber nachdenken... Eine Institution sagt, das Gott durch die Bibel spricht, aber gleichzeitig wird angedeutet dass nicht dazu in der Lage wäre so zu sprechen, dass die Person es versteht? Ist so eine Institution tatsächlich vertrauenswürdig, wenn nur die eigene Auffassung stimmt und der Urheber selbst es nicht so genau wissen soll?

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    • Offizieller Beitrag

    Es hat natürlich alles sein Für und Wider. Das von mir gesagte bezieht sich auch ausschließlich auf meine persönlichen Erfahrungen. Von Freikirche zu Freikirche wird sich manches unterscheiden.

    Letztendlich muss jeder für sich selbst entscheiden, was ihm gut tut, wo er sich wohl fühlt und wo sein persönlicher Glaube am besten gefördert und repräsentiert wird.
    Deswegen ist es auch gut, dass es eine so große Vielfalt an unterschiedlichen christlichen Gemeinschaften gibt. Da kann jeder etwas für sich finden. Wobei der christliche Glaube sich eigentlich eher mit Blick auf den Mitmenschen richten sollte, als auf das eigene Wohlergehen.