Wenn die Orgel von selbst spielt - ganz neue alte Welte(n)...

  • Sicherlich kennen die meisten von Euch das Pianola, ein Klavier mit dieser typischen Selbstspiel-Einrichtung - gelochte Papierrolle - (eigentlich ist ein Pianola sogar nur dieser Selbstspiel-Apparat ;)

    und tatsächlich war es gar nicht so einfach, so ein Pianola "richtig" zum Klingen zu bringen

    aber viel interessanter finde ich die Tatsache, dass es diese Selbstspiel-Automaten (ab 1912) auch für PfeifenOrgeln gab...


    in dem Zusammenhang muss man natürlich den Namen Welte-Mignon nennen und diese Firma aus dem Breisgau stellte ebendiese Orgeln her (genannt „Welte-Philharmonie-Orgel“)

    und eben eine solche Orgel wurde für das jüngste Schwesterschiff der Titanic - nämlich die Britannic (1914) geordert und, da nie ein- bzw vor dem Auslaufen schon wieder ausgebaut, hat das Instrument bis heute überlebt (im Gegensatz zu dem Schiff) und ist in der Schweiz im Museum für Musikautomaten Seewen sogar live zu erleben.


    Für die Welte-Philharmonie-Orgel wurden von zahlreichen bekannten Organisten Musikstücke aufgenommen und als Notenrollen verkauft, unter anderen Eugène Gigout, Max Reger, Edwin Lemare, und Karl Straube.

    as Museum in Seewen besitzt mehr als 1000 dieser Rollen (für Orgel)

    un hatte ich vor ein paar Wochen das große Glück bei dem Haus-Orgel-Konzert in Bochum von Jonathan Scott dabei sein zu dürfen - unglaublich symphatisch und sehr unkompliziert die beiden Brüder - sein erstes Konzert auf einer Hauptwerk-Orgel (wobei die Installation von Jörg Glebe sicherlich alles andere als eine "gewöhnliche" ist ;) und im Zusammenhang mit diesem Konzert haben die beiden Briten sogar noch zwei weitere Haus-Orgeln in der Nähe entdeckt:


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    13:35 HW-Orgel in Bochum / 16:56 Haus-Orgel Villa Hügel

    von denen die letzte vielleicht die interessanteste ist...

    denn bereits 1912 hat die Firma Aeolian Company aus New York eine Transmissions-Orgel mit 9 Pfeifen-Reihen (II/P 17 "Register") plus zwei Schlagwerke Harp und Chimes in der Villa Hügel in Essen eingebaut, welche 1928 um 6 Reihen / 5 Register (von Welte) erweitert wurde (II/P 28 "Register" Wikipedia Villa Hügel Orgel ) und die von Anfang an eine Selbstspiel-Vorrichtung besaß...

    um die PapierRollen zu schonen wurde die Orgel 2019 midifiziert und ein Midi-Player eingebaut, da ein Großteil der Seewener PapierRollen mittlerweile als Midi-Dateien vorliegt und vom Museum großzügig zur Verfügung gestellt wurde.

    Selbstverständlich sind in Essen auch "eigene" Rollen vorhanden - (sogar ein paar welche es in Seewen wohl nicht gibt ;)

    Allerdings gibt es ein paar "Probleme" mit den Midi-Dateien - bzw, beim Abspielen (in Essen) wird ziemlich deutlich, dass da "etwas nicht stimmt..."


    und da Jörg Glebe nicht nur diese tolle Hauptwerk-Orgel zuhause hat sondern auch noch der Curator für die Orgel der Villa Hügel ist (und ich mich doch ein kleines bisschen mit Midi an Orgeln auskenne) waren wir am Pfingstmontag zusammen in Essen und haben versucht die Geheimnisse der Midi-Steuerung an dieser einzigartigen Orgel zu lüften...


    to be (or not to be?) continued...

  • ... okay - interessiert keine Sau, also was soll's...

    nun also zum Musical Instrument Digital Interface oder kurz

    zum Midi an der Orgel

    hier (in Essen) funktioniert die Schnittstelle nur in eine Richtung:

    Dateien können abgespielt werden (das eigene Orgelspiel kann aber nicht aufgezeichnet werden)

    als Verbindung zum Midi Player mit Touchscreen und zB zu einem Laptop dient das "moderne" ipMidi bei dem die MIDI-Signale direkt über ein lokales Netzwerk geschickt werden.

    Es gibt also keine klassischen Midi-Anschlüsse mehr (alte 5polige "runde" Stecker) sondern nur die LAN Anschlüsse welche Ihr von Eurem Router kennt

    (sehr blöd nur, wenn das Laptop keinen LAN Anschluss mehr hat ;)

    In der Orgel selbst ist eine Laukhuff ipMidi-Platine verbaut (und mit eben so einem LAN-Kabel mit dem Router verbunden)

    welche die Midi Befehle in 2x 64 (Manuale) 1x 32 (Pedal) und 1x 32 (Register) elektrische Signale umwandelt die einfach mit den Windladen / Ventilen der Orgel verbunden sind.

    irgendwie lässt mich das Thema Welte und SelbstspielEinrichtung und NotenRollen einfach nicht mehr los...

    denn: die Welte Philharmonie Orgeln wurden und werden immer noch über Gleitblöcke mit 150 Löchern gesteuert, wobei die mittleren beiden (75 und 76) dazu dienen das Papier während des Abspielens mittig zu halten...

    die Löcher 15-72 steuern die Töne des I. Manuals (C-a3 = 58 Töne)

    die Löcher 79-134 steuern die Töne des II. Manuals (C-g3 = 56 Töne)

    und mit den vier Löchern dazwischen 73 / 74 und 77 / 78 können die Schweller Jalousien in zwei (genau genommen drei) verschiedenen Geschwindigkeiten geöffnet und geschlossen werden (von 0 Grad geschlossen bis ca 45 Grad Öffnungswinkel)

    die Löcher 3-14 dienen der Schaltung für die Register des I. Manuals und des Pedals

    die Löcher 135-150 für die Register des II. Manuals, Tremulant oder zB einer Pauke

    vielleicht ist auch Euch sofort aufgefallen, dass es keine Schaltung für die Töne des Pedals gibt - obwohl die Orgel in Seewen ein 30 töniges Pedal (C-f1) hat

    stattdessen gibt es eine Schaltung, die mir noch nicht ganz klar ist...

    Loch 1 = Pedalkoppel I-P

    Loch 2 = Pedal Solo, I-P, I stumm

    (weiß dazu vielleicht jemand etwas mehr?)

    zumindest ist ganz klar, dass die midi Steuerung wesentlich mehr kann als der Welte-Apparat hergibt ;)

    es bleibt allerdings die Frage, ob es Sinn macht die Papier-Rollen ähnlich einem alten Foto "verbessern" zu wollen oder ob man die midi Dateien als möglichst originalgetreue Abbildungen verwenden soll...

  • ein Adapter USB auf RJ45 ???

    welchen Bären wollt Ihr mir als nächstes aufbinden ?

    Daten die ohne Kabel einfach durch die Luft fliegen...???


    ich habe gerade einen Ausschnitt aus der

    Acta Organologica 19, Seite 187/188

    zugeschickt bekommen

    und dort ist beschrieben, dass die Pedaltöne über diese beiden Löcher (1&2), etwas kompliziert aber doch irgendwie, eigenständig gesteuert werden konnten...

    ich bleibe "dran"

  • Sicherlich kennen die meisten von Euch das Pianola, ein Klavier mit dieser typischen Selbstspiel-Einrichtung - gelochte Papierrolle - (eigentlich ist ein Pianola sogar nur dieser Selbstspiel-Apparat ;)

    und tatsächlich war es gar nicht so einfach, so ein Pianola "richtig" zum Klingen zu bringen

    aber viel interessanter finde ich die Tatsache, dass es diese Selbstspiel-Automaten (ab 1912) auch für PfeifenOrgeln gab...

    Schon viel früher: Gavioli, Paris um 1850.

    In meiner Heimatstadt Bennekom gibt es ein kleines Museum (das Kijk & Luistermuseum: https://www.kijkenluistermuseum.nl/), in dem es neben einem Pianola und einer Vielzahl von Spieluhren auch drei selbstspielende Orgeln gibt.
    Eine viel größere Sammlung befindet sich im Drehorgelmuseum in Haarlem https://www.draaiorgelmuseum.org/

  • Jein...

    natürlich gab es schon viel früher Musik-Automaten, Mozart und Haydn haben ja bekanntlich Musik für zB Flöten-Uhren geschrieben, diese klangen aber immer sehr mechanisch. Mit dem Phonola und dann später dem Welte-Mignon Apparat war es erstmals möglich das "echte" Spiel eines Menschen aufzuzeichnen* (im wahrsten Sinne des Wortes) und auch wiederzugeben...

    dazu gibt es einen ganz hervorragenden Aufsatz UNTERSUCHUNGEN AM AUFNAHMEAPPARAT   FÜR DIE WELTE-PHILHARMONIE-ORGELROLLEN. PDF

    Kurzfassung:

    Es wurde mit Tinte eine Aufzeichnung erstellt welche dann abgehört und noch korrigiert werden konnte. Davon wurde per Hand eine Mutterrolle gestanzt und hier konnten nochmals Fehler korrigiert werden. Diese Mutterrolle konnte dann einfach vervielfältigt werden...


    * TastenInstrumente welche eine Improvisation auf Papier "schreiben" konnten gab es auch vorher schon (J. F. Unger 1752) siehe PDF

  • pneumatische Steuerungen sind tatsächlich viel interessanter als mann denkt...

    leider finde ich die Quelle gerade nicht mehr, aber ich bin mir sicher, dass ich von einer englischen (?) Orgel (mit pneumatischer Registersteuerung) gelesen habe, bei welcher es möglich ist während des Spiels umzuregistrieren, ohne dass die Register direkt neu geschaltet werden. Erst bei Betätigung eines Aktivierungsknopfes (?) wird die gewünschte Registrierung ausgelöst - die Idee finde ich sehr gut und halte sie für spieltechnisch ausgesprochen hilfreich, besonders bei Improvisationen.

    an modernen Orgeln / Spieltischen kenne ich eine solche Funktion als Tasten und Registerfessel...

    Bei den Welte Rollen ist es nun so, dass die Registersteuerungen ebenfalls ihren Zustand beibehalten bis ein neues Signal von dem Apparat kommt.

    Anders als bei den Tönen, muss für ein klingendes Register also keine durchgängige Lochung vorhanden sein, gegenüber einer längeren Lochung zum Einschalten reicht eine kürzere Lochung zum Ausschalten des Registers, was dazu führt, dass am Ende einer Rolle, zur Sicherheit, für jedes Register eine Ausschalt-Lochung gesetzt werden sollte...

    kurioserweise ist es bei midi ja so, dass es für die Töne (Note on) einen gegenteiligen Note off (bzw note on mit velocity = 0) Befehl gibt...

    wie ich gerade gelesen habe, gab es bereits um 1900 herum einen elektrischen Apparat (von Laurenz Kromar), der das Spiel auf einem TastenInstrument (ohne Dynamik) aufzeichnen konnte (Wagner 2024 die Beschleunigung der Schrift S 78-82)

  • Es gibt ein kleines Update...

    Raphael Luethi (Restaurator in Seewen und für die "Britannic Orgel" zuständig)
    hat mir ein paar, wie ich finde, sehr interessante Informationen zukommen lassen:

    Quote

    Allerdings sind beim Abspielen der Originalrollen und der digitalisierten Version davon auf unserem Instrument deutliche Unterschiede,
    besonders, aber nicht nur in der Registrierung vernehmbar, deren Ursache sich mir nur teilweise erklärt.


    Das hat mich am meisten überrascht...
    vielleicht etwas naiv habe ich natürlich angenommen, dass die Midi-Dateien die Rollen sozusagen "perfekt" ersetzen


    Die Funktion der beiden ersten Löcher ist mir nun auch etwas klarer:
    Loch 1 ist quasi einfach eine Koppel P/I - die Tasten/Töne C-f1 (alle Töne des Pedals) werden ins Pedal gekoppelt (findet sich in PfeifenOrgeln eher selten)
    Loch 2 schaltet die Töne des I. Manuals stumm (hier ist mir nicht ganz klar ob alle Töne oder nur die Töne C-f1)
    sind Loch 1 & Loch 2 "offen / gelocht", dann erklingt alles was über die Löcher 15-44 "gespielt" wird also nur von den eingeschalteten PedalRegistern

    aber

    die Steuerung durch Loch 1 oder Loch 2 ist noch wesentlich raffinierter als es hier zunächst den Anschein hat:
    wie bei den Registern ist es auch hier nicht notwendig, dass eine Lochung über die ganze Zeit "aktiv" sein muss
    damit ein Ton im Pedal erklingt reicht es nämlich aus, dass sich die Lochung für den entsprechenden Ton mit der von Loch 1 nur um 3mm "überschneiden", der Ton im Pedal wird dann trotzdem weiter gehalten...

    Quote

    Ein pneumatischer «Trick» also, um 30 Spuren zu sparen.

  • Da gibt es doch tatsächlich noch Entdeckungen, die mich fast sprachlos werden lassen

    und definitiv bezaubern (zumindest mich ;)

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