Ist das Musik, Kunst oder Satire?

  • Hallo zusammen,

    ich brauche einmal eure Meinung. Ich habe ein kostenloses Buch vom Dohr Verlag bekommen zu einer Bestellung. Es handelt sich um "Lebendig und kräftig und schärfer" Sammelband mit vier Auftragskompositionen für Orgel für den 31. Deutschen Evangelischen Kirchentag 2007 in Köln. https://www.dohr.de/edition_dohr/einzeltitel/ismn1439.htm

    Nun bin ich mir nicht so ganz sicher, ob es sich dabei um Musik, Kunst oder Satire handelt.

    Dort findet man dann solche Dinge, wo mir nicht wirklich klar ist, was der Komponist hier eigentlich sagen will.
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    Ein weiteres Stück, bei dem der Spieler bitte die Anweisung beachte:
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    Und spätestens an dieser Stelle bin ich dann raus:

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    Was soll man von so etwas halten? Zumindest kann ich Vermutungen aufstellen, warum es verschenkt wurde, oder verstehe ich das Konzept nicht?

    Melodeum.de - Wissenswertes zu Harmonium

  • Ich habe das auch zu einer Bestellung bekommen.

    Läuft bei mir unter: "ist das Kunst oder kann das weg?"

    (Diese Frage wurde angeblich gestellt von einer Reinigungskraft auf einer documenta in den 80er Jahren. Es gibt aber auch andere Vorfälle dieser Art. z.B. die berühmte Fettecke von Beuys. Zeigt aber sehr eindrücklich die Entfremdung der sog. "Kunst" vom gesunden Menschenverstand).

    Zurück zu dem Band: hier kann ich maximal in der "Arbeiten" von Peter Bares (Choralfantasie op. 2668), Stephan Froleyks (Sieben Arten von Ruhe) oder Jan Masanetz (Präludium, Lied und Abgesang) noch irgendetwas entdecken, auch wenn mich das meiste abstößt.

    Mit Sistermanns ("luftfließen) für Orgel, Kirchenraum, Glocken und Steine (sic!) kann ich am Anfang noch halbwegs etwas anfangen. Bei den Sätzen VI und VII mit der von Dir gezeigten grafischen Notation bin ich aber auch raus...

    Ich kann mir aber gut vorstellen, dass die "Komponisten" das wirklich ernst meinen und sich für ganz toll und avantgardistisch halten. Nix mit Satire. Nein. Vollkommen ernst und wichtig.

    Ich denke, du liegst mit Deiner Vermutung richtig: so etwas würde sich niemand kaufen. Auch nach 17 Jahren (das entstand 2007 als Auftragsarbeit zum ev. Kirchentag vom Kulturamt der Stadt Köln) wird es nicht besser und ist somit nicht verkäuflich. Der Verlag Dohr sitzt ja in Köln und war daher mit dem Druck beauftragt. Jetzt sitzt der arme Christoph Dohr auf zig Exemplaren, die er nicht anders los bekommt.

    Das Papier ist aber gut und stabil. Wenn ich mal was zum Grillanzünden brauche...

    Hierunda male in george liste in evoltat

  • Die Idee mit dem Grillanzünder ist gut... Aber ich bin dann doch froh, dass dieses Unverständnis über dieses Werk wohl nicht an mir oder meinen Fähigkeiten liegt. Gleichzeitig bestürzt mich so etwas. Eine Auftragsarbeit macht ja niemand umsonst. In einer Behörde würde man wohl von Steuerverschwendung sprechen. Meiner Erfahrung nach sind dann solche Arbeiten auch richtig teuer.

    Mag ja sein, da s sich so etwas für anhört Live gespielt, abgestimmt auf ein Instrument und Raum. Aber veröffentlichen muss man es wohl nicht. Mal schauen, vielleicht finde ich noch ein Platz im Kantorenschrank ganz hinten in der Giftecke wo solche leichte Choralsätze stehen die 10 Stimmig sind... Wobei die Giftecke sehr umfangreich ist.

    Nachtrag:

    Hätte ich so etwas zufällig gekauft und wirklich knapp 40 Euro bezahlt. Ich glaube dass ich richtig sauer wäre.

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    • Official Post

    Für mich sind solche Aufzeichnungen das Papier nicht wert.

    Mit solchem Papier würde ich genauso umgehen wie Max Reger. Er schrieb einem Kritiker:

    Ich sitze im kleinsten Raum meiner Wohnung und lese Ihre Kritik. Noch habe ich sie vor mir

    Hochachtungsvoll M. Reger

  • Vor vielen Jahren habe ich sowas mal bei Europa Cantat in Vollendung gehört.

    European Youth Choir - bestens geschulte, junge Stimmen - die im Dom zu Mainz in 8 Teilchören (ähnlich wie bei Tallis, Spem in alium) im Mainzer Dom wandelten.

    Ich werde dieses Erlebnis nie vergessen. Vorher hatte damals noch Rilling die Johannespassion ohne eine Sekunde Pause, Innehalten, Besinnung für mich seelenlos durchgepeitscht.

    Und dann dieser wunderbare Aufbruch: Andere musikalische Figuren als die uns bekannte Affektdarstellung (Zuordnung von musikalischen Darstellungstypen zu bestimmten Gemütsverfassungen) des Barock oder die typischen polyphone Mehrstimmigkeits-Wellen in der Renaissance, die wir kennen und verinnerlicht haben.

    Anflüge von Weltmusik. Es gibt in anderen Kulturen viele, viele andere musikalische und gesangliche Grundmuster, Melodieschleifen, Gefühlsausdrücke.

    Die Teilchöre des European Youth Choir steigerten sich in variablen rhythmischen Patterns und Verarbeitungen der Muster in Umkehrungen und Verwandlungen mit vielen genialen improvisatorischen Elementen im weiten gegenseitigen Ansingen immer weiter hoch.

    Der volle Dom stand und brach in eine in endend wollende applaudierende Orgie aus.-

    Leise nochmals beginnend zogen die Teilchöre mit diesen gesanglichen Mustern und rhythmischen Patterns aus. UNFASSBAR!