wie entstehen Mehrkanalaufnahmen

  • Die meisten neuen Orgelset sind Mehrkanalaufnahmen. Wo werden diese denn in der Kirche/Orgel aufgenomen?

    Bei Piotr Grabowski heißen die Close, Front und Rear.

    Front bedeutet wohl das die Mikrofone vor der Orgel stehen.

    Rear würde dann bedeuten das sie vorne beim Altar stehen.

    Und wo stehen die Mikros dann bei Close?

    • Offizieller Beitrag

    Das ist ein breites Feld. Für Rear-Aufnahmen wird man sich im Raum wohl durch intensives Hören für eine Position entscheiden, die in jedem Raum anders ist. Genauso bei Frontaufnahmen. Man wird sich auch hier durch Hören für eine Position entscheiden. Das ist durch Aufnehmen, Abhören, Verändern der Mikroposition evtl ein länger Prozess bis zur Optimierung.

    Wenn dann ein Set entstanden ist wird die Wiedergabe Front, Rear etc auch nicht uneingeschränkt von den Anwendern auf Zustimmung stoßen.

    Mikrofonanordnungen im Orchester, wo Instrumente das Mikro direkt davor stehen haben entsprechen auch nicht nach Abmischen dem Höreindruck im Raum

  • Ich würde behaupten das es sehr kompliziert ist mit den Aufnahmen. Persönlich würde ich vermuten das an verschiedenen Stellen Mikrofone zur gleichen Zeit aufzeichnen und am Ende eine Mischung aus allen Aufnahmen steht. Piotr Grabowski macht ja auch sehr hochwertige Aufnahmen wo im Ergebnis die Position einer Pfeife trotz Raumakustik noch wahrnehmbar ist.

    Vermutlich wird das reine Aufnehmen der einzelnen Töne der geringste Teil der Arbeit sein, danach kommt vermutlich die hohe Kunst der Intonation der aufgenommenen Töne. Wenn da jemand Erfahrung hat mit dem Sampeln einer Orgel würde mich der Ablauf schon einmal interessieren.

    Melodeum.de - Wissenswertes zu Harmonium

    • Offizieller Beitrag

    Front- und Rear-Kanäle würde ich nicht mischen und für jeden der Kanäle auch nur ein Mikrofo einsetzen. Ein Mischen von Front- und Rear verfälscht zudem den Raum.

    Wenn man zwei Mikrofone für einen Kanal (egal ob Front oder rear) benutzt und sie weiter in der Raumtuefe auseinander anordnet kann es zu Auslöschung von Tönen durch gegenphasige Schwingungen kommen. Da hilft auch Abmischen nicht.

    Weniger ist aus meiner Erfahrung von Studioaufnahmen tatsächlich mehr

    In jeder Mikrofonaufstellung oder Hörposition kann es Lautstärkeanhebung durch stehende Wellen oder Abschwächung durch Gegenphasigkeit stehender Wellen kommen. Eine exakte Nacharbeit der gesampelten Aufnahme bedeutet auch sehr viel Zeitaufwand. Evtl muss man Töne mit stehenden Wellen mit anderer Mikrofonaufstellung wiederholen.

    Ich bewundere die Macher der Sets sehr

  • Hier die Kurzfassung:

    Mehrkanalige Aufnahmen erfordern im Grunde nur mehr Aufnahme-Equipment. Es gibt keine allgemein gültige Regel, wo die Mikrofone platziert werden. Auch die Konfiguration der Mikrofone (XY, ORTF, AB, usw.) wird von unterschiedlichen Sample Set Herstellern sehr unterschiedlich gehandhabt. Kleine Änderungen führen z.T. zu massiv anderen Klangergebnissen. Hier ein Link zu einem interessanten YouTube-Video: How to mic a pipe organ.

    Die Aufnahme ist der erste Schritt. Wie auch in der Fotographie: je besser die Aufnahme, desto einfacher die Nachbearbeitung und desto besser das Endergebnis. Pro Register benötigt man, je nach Nachhall 20 bis 60 Minuten (vorausgesetzt es ist ruhig, sonst wird es auch gerne einmal mehr).

    Nun müssen die Samples vorbereitet werden. Dafür sind folgende Schritte erforderlich.

    1. Entrauschen. Dies ist sicherlich der Schritt, der das meiste Know-How bzw. die meiste Erfahrung benötigt. Hier könne die Samples sehr einfach ruiniert werden. Der Sustain-Part ist i.d.R. (abgesehen von den ganz tiefen Tönen) relativ einfach zu entrauschen. Spannend wird es im Bereich der Hallfahne, weil der Ton irgendwann im Hintergrundrauschen verschwindet. Aus diesem Grund erfordern Aufnahmen, die anschließend mit einem IR verhallt werden nur einen Bruchteil der Arbeit. Vor diesem Hintergrund sind die als "preiswerte" Alternative zu Hauptwerk angepriesenen Sample Sets von Great Organ eigentlich viel zu teuer. Für Great Organ muss nur einen Bruchteil der Zeit aufbringen.

    Während das Entrauschen etwas künstlerisches hat, sind die nächsten Schritte im Wesentlichen technischer Natur.

    2. Schneiden der Samples. Dies erfordert leider auch ziemlich viel Handarbeit -- vor allen Dingen am Anfang des Samples. Schneidet man zu spät, ist die Ansprache futsch, schneidet man zu früh, hat man einen verzögerten Anschlag.

    3. CUE-Marker setzen. Hiermit wird der Anfang der Hallfahne markiert. Dies muss für alle Release-Samples gemacht werden.

    4. Loopen. Dies ist nur für die Sustain-Samples erforderlich. Mit drei bis sechs Loops ist man i.d.R. ganz gut bedient. Jeder Loop muss angehört werden! Aber auch weniger geht. Die schönen Sample Sets von Piotr Graboswki haben zum Teil nur einen einzigen Loop.

    5. Eintragen der Tonhöhe in die WAV-Datei. Dies ist nicht unbedingt erforderlich. Alternativ kann auch die exakte Tonhöhe in der ODF hinterlegt werden oder man muss die Samples stimmen. Das Eintragen der Tonhöhe in die WAV-Datei ist aber mittlerweile bei den meisten Sample Set-Herstellern Standard.

    6. Herunterrechnen der Samples auf 24-bit und 48 kHz. Die Aufnahme erfolgt meisten in einer höheren Auflösung, um bessere Signal-Rauschabstände zu bekommen.

    Alles in allem ein ziemlich extremer Arbeitsaufwand. Ein kleines Rechenbeispiel für eine kleine Orgel mit 20 Registern (5 davon mit Tremulant):

    (20 + 5) Register * 3 Releases * 61 Tasten (okay, das Pedal hat weniger -- aber es ja nur eine kleine Hochrechnung) * 3 Stereo-Kanäle = 13.725 Samples. Dazu kommen noch die Geräusche. Alle 13.725 müssen die oben angezeigte Schritte durchlaufen. Und dann hat man erst die Samples. Danach geht es an die Programmierung der ODF, was machmal noch einmal eine monatelange Arbeit ist.

    Vor diesem Hintergrund sind die meisten Sample Sets ein wirkliches Schnäppchen, denn ein Massenprodukt ist ein Sample Set ja sicherlich nicht.

    Ich hoffe, diese kleine Darstellung gibt einen kleinen Eindruck über den enormen Arbeitsaufwand, ein Sample-Set zu erstellen.

  • Sorry, beim Link ist etwas schief gelaufen. Das sind aber jetzt die richtigen Links.

    Das mit den richtigen Tools ist so eine Sache. Es gibt nicht das Tool für alle Aufgaben. Jeder schwört auf etwas anderes. Leider sind auch einige schöne Tools wieder vom Markt verschwunden.

    Jonathan Orwig von Evensong Music hat auch ein paar seiner Tricks verraten: http://www.evensongmusic.net/?page_id=2953

  • Falls jemand herumexperimentieren will, gibt es eine Reihe von Freeware-Tools. Diese Tools sind nicht für alle Aufgaben die erste Wahl, aber es geht zumindest.

    Entrauschen und Umkodieren: Audacity (hier gibt es kommerzielle Alternativen, die beim Entrasuchen einen erheblich besseren Job machen)

    Schneiden: Audacity oder ocenaudio

    Setzen der CUE-Marker: ocenaudio oder LoopAuditioneer

    Loopen und Schreiben der Tonhöhe in die WAV-Datei: LoopAuditioneer

    Lars Palos LoopAuditioneer ist ein wenig das Schweizer Taschenmesser. Aber das Programm tut sich bei einigen Jobs, wie z.B. dem Finden der Tonhöhe, ein wenig schwer. Außerdem ist die Reihenfolge der Schritte wichtig. So gibt es kaum Programme (Ausnahme LoopAuditioneer und oceanaudio), die mit mehreren Loops klarkommen. Wenn man die falsche Reihenfolge wählt, ist möglicherweise die vorausgegangene Arbeit wieder futsch.

  • Mhh wenn ich das so alles lese, dann glaube ich immer mehr das wir hier über eine große Wissenschaft sprechen. Nicht nur die komplexen Aufnahme, sondern auch die aufwändige Nachbearbeitung. Es ist ja nicht nur die ganze und teure Software, sondern man muss diese ja auch bedienen können. Hut ab vor denen die das können.

    Melodeum.de - Wissenswertes zu Harmonium

  • Das ist hier natürlich ein interessantes Thema, und DIE richtigen Antworten gibt es nicht, aber das habt Ihr ja auch schon herausgefunden. Für meinen Teil habe ich mir über die Jahre (da stecken viele hundert Stunden Programmierung und Entwicklung drin) eine Toolsuite aufgebaut, die einen großen Teil der Routineaufgaben automatisiert erledigt. Und sie arbeitet "zerstörungsfrei", d.h. alle eingestellten Parameter werden gespeichert, die Samples werden aber immer vom unveränderten Original eingelesen und entsprechend der eingestellten Werte zum Abhören bzw Exportieren direkt bearbeitet. Damit kann ich in jedem Schritt Parameter ändern, ohne dass der Rest der Arbeit hinfällig wird. Eine unschätzbare Hilfe! Vor allem aber enthält die Software meine selbt entwickelten Algorithmen zum Entrauschen und zum Auffinden geeigneter Looppunkte. Außerdem ist die Software komplett auf mehrkanalige Samples ausgelegt, damit kann ich alle Kanäle (bei der Walcker sind es 6) mit einem Arbeitsgang entrauschen, loopen, schneiden etc. Natürlich wird beim Entrauschen jeder Kanal separat betrachtet, aber das geschieht imHintergrund. Die dahinter steckende Entwicklungsarbeit ist nicht ohne, wie schon erwähnt, dafür braucht es Verständnis von Signalbearbeitung etc.. Pfeifenorgelsamples haben ein paar charakteristiche Eigenschaften, die man sich da sehr gut zu Nutze machen kann, was der kommerziellen Software nie wirklich gelingt. Die ist eben mehr auf hochdynamische Sounds ausgelegt und weiß die Vorteile von nahezu statischen Klängen nicht zu nutzen. Dadurch kommt es bei all den kommerziellen Tools schon bei relativ leichtem Entrauschen sehr schnell zu unschönen Artefakten, klingt manchmal wie Wasser, das über Kieselsteine läuft.

    Klar spart man sich damit dann beim Bearbeiten eines Sets enorm viel Zeit, aber die Entwicklungsarbeit muss ja umgerechnet über die erstellten Sets auch wieder irgendwie reinkommen. Da muss ich noch ne ganze Menge Sets verkaufen, bis die Rechnung dann aufgeht. Aber da ich Routinearbeiten hasse, stecke ich dann lieber einen Haufen Stunden in eine Software, die sie mir abnimmt :)

    Auch für die Standorte der Mikros gibt es keine Standarantwort. Je dichter man rangeht, desto tockener (klar), aber desto mehr Arbeit geht dann in das Voicing, da die Balance im Raum nicht mehr mit aufgezeichnet wird. Die Lautstärkeverhältnisse werden also stark verfälscht. Mikros mit Nierencharackteristik können helfen, den Hallanteil zu reduzieren, sind aber im Bassbereich nicht so gut geeignet, was man schon bei 16 Füßern merkt. Klanglich sind eindeutig Omnis die Mikros der Wahl für Orgelaufnahmen.

    Letztlich ist das ganze eine große Experimentierwiese, und man lernt von Set zu Set dazu bzw. entwickelt seine Toolsuite weiter, damit das nächste Set dann noch besser wird.

  • Kürzlich bin ich auf ein interessantes Projekt gestoßen, bei dem eine historische Orgel gesampled wurde mit dem Hauptzweck den Klang als Referenz für einen Repitch aufzunehmen. Es handelt sich um die Hill-Orgel in der Peterborough Cathedral. Es gibt eine informative Reihe von Videos, die das Projekt sowie die Aufzeichnung der Samples erläutern: https://www.peterborough-cathedral.org.uk/pipewatch.aspx. Das Ergebnis des Projekts ist auch ein von Audio Angelorum (https://www.audioangelorum.com) veröffentlichtes Sampleset. Es gibt ein pdf file die auch Informationen zur Aufzeichnung der Samples enthalt (einschließlich Gebrauch von Soundfield-Tetramics im Orgel): https://www.audioangelorum.com/PeterboroughHillUserGuide.pdf

  • Langsam verstehst Du, warum die Erstellung eines Sample Sets so aufwändig ist. Die Samples müssen fast alle manuell bearbeitet werden, oder zumindest muss die automatische Bearbeitung Sample für Sample überprüft werden. Die automatische Bearbeitung ist bis zu einem bestimmten Punkt möglich, die manuelle "kitzelt" dann aber noch ein wenig mehr Qualität heraus. Es ist wie mit jedem Projekt: mit 20 % der Arbeit schafft man 80 % Leistung. Sample Sets unterscheiden sich dadurch, ob sich die Mühe gemacht wird, die letzten Prozente "herauszukitzeln". Vor diesem Hintergrund kann ich die Kalkulationen Preis pro Register nicht wirklich verstehen.

    Ich arbeite derzeit an zwei mittgelgroßen Sample Sets. An dem einen Set arbeiten wir (mit zwei oder drei Leuten) schon zwei Jahre, an dem anderen knapp ein Jahr.

    Es ist schade, dass sich die Sample Set-Hersteller -- von einigen wenigen Ausnahmen -- nicht mehr austauschen. Jeder kocht sein eigenes Süppchen und versucht die IPs möglichst nicht zu teilen. Dabei wäre die Zeit so viel besser genutzt, wenn man Energie in die Aufnahme neuer schöner Orgeln steckt, als das Rad wieder und wieder neu zu erfinden.

    @vpo-organist: Wenn ich Dich richtig verstehe, bist Du derzeit am Schneiden. Dies geht ziemlich gut mit Audacity (mit dem Silence Finder). Die geschnittenen Audio-Dateien können dann einfach mit einer Batch-Datei in die unterschiedlichen Verzeichnisse (für Sustain, Medium und Short Releases) verschoben und umbenannt werden.

    Ich habe für meinen privaten Bedarf ein Manual geschrieben, wie ich Sample Sets aufarbeite. Ich bin gerne bereit, dieses zu teilen. Bei Interesse sendet mir einfach eine private Nachricht mit Angabe Eurer E-Mail-Adresse.

  • So ein Loop-Werzeug gab's zu HW4-Zeiten auch mal kostenfrei. Da steckt halt viel Zeit und Arbeit hinter, die man ungern an dahergelaufene Möchte-Gern-Sampler verteilen möchte, die dann ggf. noch zu Konkurrenten werden.

    Ich benutze dafür Loop Audition. Kostenlos weil "Open Source" (: http://loopauditioneer.sourceforge.net/ und sehr vielseitig.

    Es gibt immer noch Idealisten auf der Welt, die viel Zeit und Mühe in "Open Source" -Produkte stecken.

  • Tja, warum ist es schwierig, an Informationen zum Sampeln heran zu kommen? Vom HW-Support habe ich auch noch keine Antwort bekommen, bei dem ich den aktuellen Create-Samplesets für Hauptwerk angefordert hatte. Den HW4-Guide habe ich nämlich.

    Wir haben in den Niederlanden ein Sprichwort, das ins Deutsche übersetzt heißt: "Die Frage zu stellen bedeutet, sie zu beantworten".

    Vielleicht gibt es das auch auf Deutsch. Zumindest teilweise gilt dies auch hier.

    Ich verstehe, dass jeder, der diese Informationen von Hauptwerk erhält, zur Geheimhaltung verpflichtet ist<X .

  • Den Beitrag von Lars Palo zu diesem Projekt kann man nicht hoch genug wertschätzen. Ohne LoopAuditioneer gäbe es etliche Sample Sets heute nicht. Ich wünschte, ich könnte programmieren und bei der Weiterentwicklung dieser Software helfen.