Ich würde mir gerne in diesem Diskussionsbeitrag mit euch gemeinsam die momentanen musikalischen Situation in den Gemeinden betrachten. Dabei soll es nicht um ein großes Bistum oder eine Kathedrale gehen wo auf ein Mitglied ein Kantor kommt, sondern eher um die Regionen in denen die "normalen kleinen" Gemeinden sich befinden.
Meiner eigenen Erfahrung nach sieht der Kirchenmusikalische Alltag abseits der großen Vorzeigegemeinden nämlich nicht so toll aus. Neben qualifizierten Musikern fehlt und mangelt es häufig auch an der Technik. Die Orgel die noch irgendwie Töne von sich gibt, aber keiner erklären kann wieso. Der "Musiker" der keine Ahnung von dem hat was er tut oder tun sollte, sofern er überhaupt vorhanden ist. Fehlender Nachwuchs und so weiter sind ja Themen die man fast flächendeckend so vorfinden kann.
Ich erlebe es oft, selbst in der unmittelbaren Nähe, dass es in den Gemeinden keine musikalischen Angebote mehr gibt, kein Chor, keine Bläser, mit etwas Glück ein Keyboarder der irgendwie einen Choral auf einer verstimmten Orgel hinbekommt, jedoch hat das dann oft wenig mit einem liturgischen Musizieren zutun. Und spätestens wenn ich in einer Gemeinde sitze und der Pfarrer die Gitarre für den Choral in die Hand nimmt, dann ist der Zustand in der Gemeinde sofort geklärt... Wir haben zum Glück einen fähigen Kantor der weiß was er tut und neben der allgemeinen musikalischen Gestaltung auch den Chor, Bläser und Veranstaltungen leiten kann. Abseits der Stadt im gleichen Pfarrbereich sieht es aber schon anders aus. Die kleinen Gemeinden die dazugehören haben zwar sanierte und gute Orgeln, aber niemanden der sie spielt an einem Sonntag. So bleibt im Gottesdienst nur ein Gesang ohne Musik. Findet sich doch einmal jemand der diese Dienste übernehmen will, dann scheitert es spätestens bei den meisten in den ganz kleinen Gemeinden wo der Umgang mit einem Harmonium gefordert ist. In der Katholischen Gemeinde in unserer Stadt ist die Situation noch problematischer. Dort steht zwar eine nagelneue Orgel, aber es gibt dort keinen der sie spielen könnte. Notgedrungen hat man dort einen Automaten angebaut der die Orgel selbstständig spielt. In der Praxis ist das Ergebnis aber eher... Nicht ideal. Der Einzug ist beendet und der Priester steht am Altar und wartet bis die Orgel fertig ist, sofern es überhaupt funktioniert und die Noten für dieses Spielsystem sind vermutlich auch nicht günstiger wie ein Orgelspieler. Ich übernehme daher in der katholischen Gemeinde sehr oft das Orgelspiel. Auch wenn es für mich der aus dem evangelischen kommt erst einmal eine große Umstellung war.
Jetzt ist die Frage, wie kommt es zu diesen Situationen und was könnte man dagegen tun? Meiner Meinung und Erfahrung nach ist es einfach zu erklären. Die Gemeinden haben sich nie großartig darum gekümmert. Ein weiterer Punkt wird vermutlich das Geld sein, vermutlich wird in kleinen Gemeinden das Geld der Hauptgrund sein, der es nicht möglich macht einen Kirchenmusiker zu beschäftigen. Jedoch beißt sich dort die Katze selber in den Schwanz. Ohne fähigen Musiker der die Pflege der Instrumente übernimmt und den Nachwuchs unterrichtet, ohne diesen wird es keinen geben der einmal in diese Position hineinwachsen kann. Heute ist der Werdegang zum Orgelspieler ja meist in dieser Art:
Der 98 Jährige Otto der die Orgel seit 50 Jahren jeden Sonntag spielte, der fällt irgendwann vor/im/nach dem Gottesdienst tot von der Orgelbank. Die Gemeinde ist nun in der Situation zu sehen, dass außer ihm kein anderer da ist der spielen könnte. In der Not kommt man auf den kleinen Tom, der hat doch letztes Jahr ein Keyboard geschenkt bekommen und kann auch etwas Noten lesen. Man drückt ihm also die Literatur mit allen Bearbeitungen und Bemerkungen des alten Orgelspielers in die Hand und die Feuertaufe und das erste mal an der Orgel ist dann der nächste Gottesdienst. Das Ergebnis hat dann wenig mit Musik zutun und der Nachwuchs wird sofern er nicht vorher kapituliert sich irgendwie von Gottesdienst zu Gottesdienst hangeln. Die Gemeinden sind da ja recht einfach gestrickt. Schlechte Musik? Ach quatsch, nach drei Wochen erinnert sich keiner mehr das es einmal anders war...
Das Ergebnis ist daher in zu vielen Gemeinden, dass man als jemand der Erfahrung damit hat in der Gemeinde sitzt und dem lauscht was von der Empore kommt. Die Spannweite ist da im Grunde von "nicht gut" bis zu "dem sollte man den Schlüssel wegnehmen und niemals wieder in die Nähe einer Orgel lassen". Im schlimmsten Fall muss man sich ernsthaft Fragen ob das wirklich noch Musik oder schon waffenscheinpflichtig ist. Versteht mich nicht falsch, wenn der Keyboarder mal einen Gottesdienst übernimmt weil kein anderer da ist, dann ehrt ihn das und jede Gemeinde wird sich freuen, auch wenn es nicht schön klingt. Aber leider wird diese Situation dann zu Dauerlösung.
Natürlich bieten die größeren Gemeinden jährliche Schulungen an für den "Dorforganisten", ich kann auch jedem empfehlen dort hinzugehen. Man kann dort wirklich von den profis lernen. Leider habe ich bei meinen halbjährlichen Besuchen die Situation das dort 10 Organisten sind die Weltweit an den größten Orgeln spielen und ich sitze mit diesen alleine dort. Die Dorforganisten die eigentlich mit dort sitzen sollten nutzen diese Angebote nicht, weil sie wissen oder ahnen, dass sie es nicht können und keine Ahnung von Musik haben. Dann ist die Angst als unfähig angesehen zu werden größer als die Motivation es zu lernen. Und somit schließt sich der Kreislauf...
Eine persönliche Anmerkung zum letzten Absatz und für alle die mal zufällig hier vorbeikommen und selber in der Situation sind. Habt keine Angst als absolute Laien zu solchen Veranstaltungen zu gehen. Dafür sind diese ja da. Ein ausgebildeter Musiker wird diese nicht besuchen weil nur Laienmusiker die Förderung dafür bekommen. Und auch wenn das Notenlesen nicht perfekt klappt und das Harmonisieren ein Glücksspiel ist, genau das kann man dort lernen.
So nun die Frage an euch nachdem ich meine Sichtweise geteilt habe. Wie sieht es bei euch aus, was seht ihr als Ursache der Probleme und wie könnte man diese lösen?